Im Einsatz für den Datenschutz: Cyberpsychologin Dr. Catharina Katzer
Dr. Catarina Katzer studierte Volkswirtschaftslehre, Soziologie & Sozialpsychologie und promovierte und lehrte am Institut für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln. Sie leitet das Institut für Cyberpsychologie & Medienethik in Köln und gehört international zu den führenden Experten im Bereich „Cyberpsychologie: Handeln, Fühlen und Denken im digitalen Zeitalter“.
Im Interview mit der Cyberpsychologin sprechen wir über unser digitales Bewusstsein, kognitive Überlastungen, wie der Mensch Informationen verarbeitet und was das alles mit dem Datenschutz zu tun hat.
Frau Katzer, auf der einen Seite sagen wir Deutschen der Datenschutz sei uns wichtig, aber gleichzeitig verhalten wir uns oft sehr konträr. Wieso ist das so?
Wenn wir meist gute Erfahrungen mit etwas gemacht haben, dann fühlen wir uns sicher. Dann denken wir nicht an die potentielle Gefahr. Im Internet fehlt uns dazu der physische Effekt, z.B. das Risiko eines Datenlecks tatsächlich zu spüren. So sitzt man vor dem Computer und denkt “wieso sollte sich jemand für meine Daten interessieren, ich bin doch langweilig” – bis zu dem Moment, in dem ein Account gehackt oder private Fotos geleakt werden. Leider sind wir Menschen so gestrickt, dass uns erst etwas Negatives passieren muss, bis wir eine Veränderung an unserem Verhalten vornehmen. Um also ein besseres digitales Bewusstsein und mehr Verständnis für den Schutz unserer Daten zu schaffen, müssen wir die potentiellen Risiken sichtbar und greifbar machen.
Wie muss man sich im Internet bewegen, um Fallen zu vermeiden?
Ich denke, wir brauchen ein ganz neues, digitales Bewusstsein. Wir müssen uns abgewöhnen alle 5 Minuten auf das Smartphone zu schauen. Das zehrt an unserer Konzentration und führt zu einer digitalen kognitiven Überlastung. Um eine neue Wahrnehmungsstrategie zu entwickeln, müssen wir uns aus dieser Spirale befreien. Dafür muss man einen digitalen Stoppschalter im Gehirn aktivieren und kurz innehalten, bevor man etwas abschickt oder einen Online-Kauf tätigt. Schon kurze Unterbrechungen helfen, die Dinge anders wahrzunehmen und unser Gehirn neu zu kalibrieren. Im Prinzip geht es darum, bewusster zu handeln und unserer Ungeduld Einhalt zu gebieten. Damit erhöhen wir auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir Manipulationsversuche erkennen.
Wo wir von Manipulation sprechen: Wie verhält es sich eigentlich mit den Cookie-Bannern? Die meisten Menschen klicken einfach schnell auf “akzeptieren”, oft sind alternative Möglichkeiten sogar komplex oder schwer auffindbar gestaltet. Haben wir es hier mit psychologischen Tricks zu tun?
Über die Cookie-Banner wollen Unternehmen es uns schwer machen – sie wollen, dass wir etwas Bestimmtes anklicken und führen uns mit den Taktiken und der Farbgestaltung oft in die Irre. Wenn wir etwas kaufen oder einen Prozess abschließen wollen, klicken wir schneller auf den grünen Knopf als auf den roten, weil uns das psychologisch suggeriert “Rot = Gefahr” “Grün = die sichere Seite”. Das wird ausgenutzt.
Außerdem zeigt die Forschung, dass wir maximal 15% dessen, was wir finden, auch tatsächlich lesen. Die meisten Informationen werden nur noch nach Dingen gescannt, die uns schon bekannt vorkommen. Seitenlange Datenschutzrichtlinien lesen wir nicht, sondern drücken lieber auf einen Knopf – und weg sind sie. Diese langen, komplizierten Texte sind für Nutzer*innen schlecht und für Unternehmen gut.
Mit unserem Verhalten verhelfen wir also Unternehmen zu ihrem Erfolg. Sind wir generell zu wohlwollend gegenüber kostenlosen Diensten?
Wenn ich etwas umsonst bekomme, muss mir klar sein, dass ich irgendwie bezahlen werde. Denn ganz umsonst ist es nicht. Aber der Gedanke des Bezahlens ist eben auch eine unangenehme Folge, die wir gerne kognitiv verdrängen. In diesem Moment muss ich ja nichts zahlen – und was irgendwo in der Zukunft liegt, damit setze ich mich jetzt nicht auseinander. Der sofortige Nutzen ist für mich viel wichtiger als ein zukünftiger, weit entfernter, undefinierter Schaden.
Lassen sich bei einem digitalen Bewusstsein Unterschiede zwischen den Altersgruppen feststellen? Muss man z.B. bei Jugendlichen anders ansetzen?
Untersuchungen zeigen, dass gerade bei den unter 18-jährigen die Zahl derer sehr hoch ist, die nicht mehr in der Lage sind zwischen Fake-News und echten Informationen zu unterscheiden.
Nur weil Kinder und Jugendliche mit diesen Medien aufwachsen, ergibt sich daraus nicht automatisch ein Bewusstsein für den sicheren Umgang. Das merkt man auch daran, dass vieles oft einfach weitergeschickt wird – wie z.B. dass man Fotos von sich verschickt, die auf einmal weitergeleitet werden und plötzlich die ganze Klasse Zugriff darauf hat. Dann ist der Schock groß, wer plötzlich alles Zugang zu meinen persönlichen Informationen hat. Was fehlt, ist das Gefühl dafür, was das eigene Verhalten auslösen kann und welche potentiellen Risiken das mit sich bringt.
Hat dieses Verhalten auch mit einer gewissen Abkopplung zwischen der digitalen und physischen Realität zu tun?
Das psychologisch Spannende ist, dass man das digitale Leben auch als das echte Leben empfindet. Je mehr Leute uns für gut befinden – ausgedrückt durch Likes oder Follower – umso mehr stärkt das unser Selbstbild. Dennoch koppeln wir im digitalen Raum unser Bewusstsein von unserem Körper ab, weil wir kein physisches Erleben haben. So entsteht dann doch eine Distanz zur Handlung, was man am Beispiel von Cybermobbing gut illustrieren kann. Wenn ich im echten Leben jemanden fertig mache, dann sehe ich das Leid und vielleicht die Tränen, die dazugehören, im Netz sehe ich die Betroffenen nicht. Ich fühle mich deswegen auch nicht so als Täter*in, denn wenn man zu Hause vor dem Computer sitzt, kreiert es die Illusion eines geschützten Raums. Dass das nicht der Realität entspricht, blendet man aus. Einerseits ist es also das reale Leben und andererseits das geistige Entkoppeln, weil man nicht physisch in der Situation präsent ist. Und das ist schwierig für uns.
Wie funktioniert das Konzept der Entschleunigung in einer Welt, in der alles immer schneller gehen muss, besonders für die Jugend?
Wir haben in der Corona-Pandemie und durch die fehlenden physischen Lernräume gesehen, dass das Digitale den Menschen und den direkten Kontakt nicht ersetzen kann. Es gibt auch Studien die zeigen, dass Jugendliche heute unter deutlich höheren Stressleveln stehen, gerade aufgrund der digitalen Kommunikationsmittel – es entsteht Kommunikationsstress. Auch wenn das Smartphone ausgeschaltet in meinem Blickfeld liegt, wirkt sich das negativ auf meine Konzentration aus, denn man bekommt das Gefühl, dass man etwas verpassen könnte.
Diese Veränderung durch die Technologie wird auch von Kindern und Jugendlichen nicht nur als positiv empfunden – auch sie sehnen sich nach Entschleunigung. Digitale Auszeiten kann man durch simple Strategien in den Alltag integrieren, indem man z.B. beim Abendbrot oder beim Ausflug das Smartphone einfach mal weglegt. Dass solche Strategien helfen, sieht man auch, wenn man digitale Detox-Wochen mit Jugendlichen durchführt. Anfangs sind sie noch total nervös ohne ihre Geräte, aber später stellt sich eine andere Routine ein. Man trifft sich persönlich, liest mehr, ist mehr draußen, hält sich mehr an Absprachen, weil man sie nicht kurzfristig absagen kann. Solche Phasen können das Bewusstsein dafür schaffen, wann wir die Technologie tatsächlich brauchen.
Wer hat die tragende Rolle, solche Dinge den Jugendlichen vor Augen zu führen? Politik? Lehrkräfte? Zivilgesellschaft?
Es ist ein Bündnis aus vielen Akteuren, die hier Verantwortung tragen. Neben Erziehung und den Eltern ist die Politik ein wichtiger Faktor. Zum einen benötigt es natürlich die digitalen Tools, damit Unterricht stattfinden kann, zum anderen muss aber auch inhaltlich vermittelt werden, wie sich das Leben durch die Digitalisierung verändert hat. Sodass man die Dinge besser bewerten kann. Brauche ich wirklich diese App? Kann ich vielleicht selbst ein digitales Tool entwickeln, das mehr auf meine Bedürfnisse abgestimmt ist? Auf welche Dinge muss ich dabei achten? Dieses Bewusstsein und kritisches Denken müsste viel stärker schon in die Schulen gebracht werden.
Wir alle, die wir uns im Internet bewegen, tragen hier Verantwortung. Uns allen begegnet Hass und Hetze im Netz, aber die wenigsten reagieren darauf. Es setzt zwar ein Wandel ein, dass immer mehr Menschen unangebrachtes Verhalten und Inhalte melden, das reicht aber noch nicht aus.
Das eigene Verhalten zu ändern ist immer erstmal unbequem. Wie bewegt man die Menschen dazu, es dennoch zu tun?
Wir sind bequem und alles muss schnell gehen. Die Menschen werden nur dazu gebracht, etwas Unbequemes zu machen, wenn man ihnen zeigt, was passieren kann, wenn sie es nicht tun. Es müsste ein Pop-Up Fenster auftauchen, das zeigt, was mit den eigenen Daten passieren kann, wenn man sie nicht ausreichend schützt: mit den Kreditkartendetails, Fotos oder der Adresse. Was ist, wenn jemand bei mir einbricht und die Wohnung ausräumt, weil bekannt ist, dass ich gerade auf Mallorca bin? Es braucht mehr Aufklärung über die direkten Risiken meines Verhaltens.
Die Aufmerksamkeit der Menschen erreicht man durch extreme Emotionen: Lange Texte lesen sie nicht mehr, aber aufregende Fotos oder Videos aktivieren unser Gehirn. Wir sind zwar im digitalen Zeitalter angekommen, aber unser Gehirn ist immer noch aus der Steinzeit. Das reagiert ganz besonders gut wenn Emotionen angesprochen werden und wenn eine Bedrohung auftaucht. Das heißt im Endeffekt – Daten schütze ich, indem ich das Schutzempfinden im Kopf anspreche.
Aufmerksamkeit bekommt man also nur durch das Aufzeigen von negativen Konsequenzen?
Ja, das ist leider so. Natürlich werden auch positive Nachrichten wahrgenommen, aber wir reagieren eben sehr stark auf Dinge, die negativ sind. Reize wie große Überschriften bei Nachrichten oder in Zeitungsartikeln – es sind solche Headlines, die bedrohlich wirken, Unruhe verbreiten, Sorgen schüren, die uns mehr betreffen. Also wenn ich im Umkehrschluss das Gefühl habe “mir kann doch gar nichts passieren”, dann werde ich höchstwahrscheinlich nicht plötzlich zum Datenschutzaktivisten werden.
Wenn ich die Gefahr nicht sehe, dann ist sie auch nicht da. Und wenn ich vor dem Rechner sitze, ist die Gefahr für meine Daten nicht sichtbar. Was im Hintergrund passiert und wer da Dinge einsehen kann, oder wer versucht einzudringen, das spüre ich nicht.
Sind Menschen unkritischer, wenn sie schon mit dem Datensammeln aufgewachsen sind?
Es gibt dieses unkritische Mantra “nicht so schlimm, wenn alle alles von mir wissen” oder “ich habe eh nichts zu verbergen”. Das hat aber nichts mit dem Alter zu tun, das hat vor allem auch etwas mit Gesellschaften zu tun. In China sieht man, dass die Gesellschaft größtenteils überhaupt kein Problem mit einer Dauerüberwachung hat: was sie im Netz oder anderswo tun, die Techniken zur Gesichtserkennung, dass jeder Schritt gespeichert und bewertet wird. Das kommt aber eben auch daher, dass es von der Regierung so vorgegeben wird.
Es ist interessant, wie unterschiedliche Gesellschaften dem Datenschutz verschiedenen Werte zuweisen. In Deutschland ist der Datenschutz fast heilig, in anderen Ländern hingegen geht man ganz anders mit dem Thema um.
Sogar innerhalb Deutschlands sind Menschen aus dem Osten des Landes sind ja zum Beispiel mit einer ganz anderen Einstellung und ganz anderen Angst davor aufgewachsen, was ein Staat mit den persönlichen Daten machen kann. Der Sozialisationseffekt spielt da eine sehr große Rolle. Und auch der Glaube, dass der Staat sowieso macht, was er will, der ist ganz anders verteilt.
Was kann jede*r Einzelne von uns tun, um sich besser im Netz zu schützen?
Beim Thema Datenschutz kann ein Bild helfen: Sobald ich das Netz betrete, öffne ich meine Tür und lasse sie auf, bis ich irgendwann wieder nach Hause komme bzw. das Gerät ausschalte. Im echten Leben würde man das nicht tun, da verschließt man die Tür – alles andere wäre viel zu riskant! Es ist wichtig, sich solche Bilder aufzurufen, denn nur dann wird es realistischer.
Was wir grundsätzlich brauchen, ist eine Art Internet-Logbuch, um das eigene Verhalten zu prüfen. Auf dem Smartphone können wir sehen, wie lange wir bestimmte Apps benutzt haben. Die Zeit, die wir im Internet verbringen, wird meist unterschätzt. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wie oft und lange man im Netzeinkauft, nach Dingen sucht und auf welchen Seiten man verweilt. Wenn man das versteht, kann man auch Schwerpunkte setzen – und auf einige Aktivitäten zukünftig verzichten. Außerdem sollte man den Datenschutz und auf den jeweiligen Seiten, bei Messengerdiensten sowie das eigene Passwortmangement hinterfragen. Diese Dinge wären schon einmal für den Anfang gut, um das eigene Verhalten zu schulen.
“Im Einsatz für den Datenschutz” ist eine Interview-Reihe mit Datenschutz-Experten aus aller Welt. Ziel ist es, das Thema Datenschutz und Privatsphäre aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Unsere Interviewpartner*innen erzählen, was sie tun, um ihre persönlichen Daten schützen und geben Empfehlungen für alle, denen der Schutz ihrer Privatsphäre wichtig ist. Wenn ihr jemanden kennt, den wir interviewen sollten, schickt uns eure Vorschläge an: [email protected]
Die in diesem Interview geäußerten Ansichten sind die unseres Interviewpartners und spiegeln nicht unbedingt die von Startpage wider.