Im Einsatz für den Datenschutz: Inga Pöting, Redakteurin bei mobilsicher.de
Inga Pöting ist im Ruhrgebiet geboren und arbeitet seit 2008 als Journalistin. Seit 2017 ist sie Redakteurin bei mobilsicher.de, dem Infoportal für sichere Handynutzung. Als freie Autorin schreibt sie außerdem über Digitales, Datenschutz und das Arbeitsleben. Inga könnt ihr hier auf Twitter folgen. Den Accounts von mobilsicher könnt ihr auf Twitter, Mastodon, YouTube und PeerTube folgen.
Hallo Inga! Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten.
1. Fülle die Lücke: Privatsphäre ist _______ .
Für jeden Menschen wichtig.
2. Warum ist dir der Schutz von persönlichen Daten wichtig? Beruflich und im Privatleben?
Für mich sind private Daten genauso abstrakt wie für alle Menschen. Es ist nicht klar definiert, was genau private Daten sind. Im Prinzip fallen darunter alle Inhalte, die ich produziere, wenn ich Online-Dienste nutze, zum Beispiel Chatnachrichten, Formulardaten bis hin zu App-Daten.
Egal ob das sensible oder weniger sensible Daten sind: Ich setze das gerne mit privatem Besitz gleich. Wenn ich nicht zu Hause bin, möchte ich nicht, dass meine privaten Gegenstände entwendet werden oder an einen anderen Ort außerhalb meiner Wohnung gebracht werden. Bei unserem privaten Besitz achten wir sehr darauf, wie damit umgegangen wird und wer Zugriff erhält. Private Daten sind dagegen so abstrakt definiert, dass viele Menschen damit weniger sorgsam umgehen. Dieser Vergleich schafft meiner Meinung nach mehr Klarheit und Abhilfe.
3. Wann war dein erster Kontakt mit dem Thema Datenschutz und hast du die Nachteile von zu wenig Datenschutz schon einmal zu spüren bekommen?
Ich bin grade noch so ohne Internet aufgewachsen, das Internet kam erst in mein Leben, als ich etwa 13 Jahre alt war und begonnen habe, die ersten Online-Dienste zu nutzen. Um mich herum begannen einige, vorinstallierte Dienste durch sichere Alternativen zu ersetzen. Da habe ich zum ersten mal gemerkt, dass es hier Entscheidungen zu treffen gibt, auch wenn mir das noch sehr mühsam erschien. Aus irgendeinem Grund dachte ich damals, Technik sei nicht mein Ding. Das stimmte aber gar nicht und ich habe später gemerkt, dass die Gesellschaft diese Denkweise gerade bei Frauen leicht zu Tage bringt. Da finde ich den Begriff “Technikpaternalismus” sehr passend, der in diesem Zusammenhang manchmal auftaucht.
Aber so richtig habe ich mich damit erst beschäftigt, als ich vor 4 Jahren bei mobilsicher angefangen habe und so richtig in das Thema eingestiegen bin. Einen Anlass wie beispielsweise negative Erfahrungen habe ich dazu nicht gebraucht. Ich habe gemerkt, dass ich mich gerne mit technischen Feinheiten beschäftige und sie verstehe, das ist für mich Motivation genug.
4. Bei mobilsicher prüft ihr die unterschiedlichsten Android-Apps auf ihre Datenverarbeitung. Wie kam es zum Start von mobilsicher, gab es einen konkreten Anlass?
Das Smartphone verbreitete sich relativ schnell, nach dem Start des iPhones 2007 zogen andere Hersteller nach und sehr bald hatte jeder eins. Es gab aber keine unabhängige Stelle, die diese Technologie erklärt oder kritisch begleitet und kommentiert hat. Menschen, die in diesem Thema nicht so fit sind, konnten sich nirgendwo unabhängig informieren. So wurde 2014 die Idee von Mobilsicher geboren. Ein kleines Team um unseren Gründer Matthias Spielkamp und Miriam Ruhenstroth, der heutigen Projektleiterin, wollten so eine Stelle für IT-Sicherheit schaffen: aus der Mitte der Gesellschaft für die Mitte der Gesellschaft.
Das Besondere an unserer Arbeit ist, dass die Menschen dafür wahnsinnig dankbar sind. Wir kriegen sehr viel positives Feedback und Dankesmails, das überrascht mich immer wieder. Denn aus meiner Erfahrung als Journalistin kann ich sagen, dass das meiste Feedback bei Redaktionen eher Beschwerden sind. Positive Rückmeldungen zu bekommen, macht einen großen Unterschied!
5. Warum fällt es den meisten Menschen so schwer, einen schnellen Überblick darüber zu bekommen, wie Apps unsere Daten verwenden?
Das Problem liegt nicht bei den Menschen, sondern bei einem sehr unübersichtlichen System, an den Programmen und der Wirtschaft, die dahinter stecken. In rasantem Tempo schreitet die Entwicklung von Geräten und Diensten voran, die immer umfangreicher und komplexer werden. Irgendwann versteht es kaum jemand mehr. Die Innovation und Technik sind den Nutzer*innen immer einen Schritt voraus.
Eigentlich muss man sich laufend über die neuen Updates und Systeme informieren, dabei möchten viele Menschen einfach nur, dass die Dinge in ihrer gewohnten Bahn bleiben. Dabei sind diese Weiterentwicklungen ja wichtig, da sie meist die Produkte auch sicherer machen. Aber man braucht einen starken Ehrgeiz, um dranzubleiben und sich damit zu beschäftigen. Obwohl wir all diese Dienste ja täglich nutzen, fehlt leider vielen dieser Ehrgeiz. Das kann ich aber sehr gut nachvollziehen.
6. Ihr habt ja nun insgesamt schon einige Apps getestet. Wie hoch ist der Anteil an von euch geprüften Apps, die gut abschneiden und die Daten ihrer Nutzer*innen schützen?
Das hängt ganz davon ab, was man als “gut” definiert. Wenn beispielsweise Facebook-Tracker in einer App vorhanden sind, empfinde ich das nicht als gut. Leider ist aber genau das bei sehr vielen Apps der Fall. Oft ist Facebook selbst nicht als Element in der App sichtbar, sondern der technisch versteckte und unsichtbare Facebook Analyse-Dienst – das ist in etwa 30 Prozent aller Android-Apps so. Was viele nicht wissen: Dabei ist egal, ob man selbst ein Facebook-Konto hat, dieser Tracker wirkt sich für alle negativ aus.
Man erkennt relativ schnell, ob eine App versucht, dem Anspruch an Datensparsamkeit zu genügen, zum Beispiel wenn sie werbefrei sind oder nur eine Kommunikation mit dem Anbieter stattfindet. Es kommt schon auch vor, dass es gute Beispiele gibt, die höchstens noch Matomo eingebaut haben, eine datenschutzfreundliche Alternative zu Google Analytics. Das trifft aber nur auf eine sehr kleine Szene von App-Anbieter*innen zu, die sich hier bemühen. Der Status Quo sieht leider anders aus: Oft wird die Entwicklung von Apps an andere Firmen ausgelagert, denen meist nicht in den Sinn kommt, Facebook- und andere Analysetracker wegzulassen. In der Szene fehlt es an Aufklärungsarbeit und Haltung.
Wir haben festgestellt, dass zum Beispiel auffällig viele Tracker in Apps enthalten sind, die Sport- und Fußballergebnisse liefern, oder in Shopping-Apps für Kleidung, Lebensmittel oder bei Baumärkten. Alle Apps, die etwas verkaufen, wollen auch möglichst viel über ihre Kundschaft herausfinden und haben deshalb sehr viele Drittanbieter eingebaut. Interessanterweise schneiden hier auch Gebets-Apps schlecht ab, bei unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Wird hier der Standort zusammen mit eindeutig zuzuordnenden IDs an Dritte weitergegeben, kann das in Ländern, in denen man für seinen Glauben verfolgt wird, katastrophale Folgen haben.
Oft finden wir auch bei Minitools wahnsinnig viele Tracker, zum Beispiel bei GroovePad, bei dem man Drumloops programmieren kann, haben wir 28 Drittanbieter gefunden. Normal wären etwa fünf bis zehn Stück. Es ist schon beeindruckend, wie viele Tracker in so einem kleinen Stück Code eingebaut sein können. Hier wissen wir einfach zu wenig darüber, was wirklich im Hintergrund abläuft und über welche Wege die Daten wo landen. Da gibt es noch viel zu verstehen!
7. In Deutschland ist das Bewusstsein für den Datenschutz schon größer als in vielen anderen Ländern. Wie empfindest du die Wahrnehmung des Themas in der breiten Öffentlichkeit? Was ist schon gut, was muss sich verbessern?
In meinem Umfeld hat sich wahnsinnig viel getan. Vor vier Jahren bin ich noch auf Unverständnis gestoßen, als ich meinen Freundes- und Bekanntenkreis gebeten habe, für die Kommunikation mit mir auf Signal zu wechseln, da ich WhatsApp löschen wollte. Das hat sich inzwischen total verändert. Gerade das Messenger-Thema hat viele bewegt, sich mehr Gedanken über Datenschutz zu machen. Das ist eine wahnsinnige Errungenschaft.
Natürlich bewege ich mich in einer Blase, ich kenne vor allem gut ausgebildete, meist studierte Personen. Wie es in anderen Teilen der Bevölkerung aussieht, kann ich nur bedingt einschätzen. In einem bestimmten gesellschaftlichen Kreis ist viel passiert, das ist auf der einen Seite gut, da dies meist Menschen sind, die für Veränderungen kämpfen, weil sie in entsprechenden Positionen sitzen – so ungerecht das auch ist. Aber sie machen nur einen kleinen Anteil aus, viele Menschen sorgen sich leider gar nicht um diese Themen. Letzten Endes brauchen wir eine Veränderung auf struktureller Ebene durch gute politische Entscheidungen und Regulierungen.
Ich glaube vielen fällt vor allem der Einstieg schwer, da es zu einer Überforderungssituation kommt. Schließlich gibt es so vieles, bei dem man sich umstellen muss. Ich verstehe absolut, dass man nicht alles über Nacht ändern kann, wichtig ist es, an einem Punkt anzufangen. Es ist kein schwarzweißes Feld: Wenn ich beispielsweise WhatsApp weiterhin nutze, aber bei anderen Punkten auf Datenschutz achte, ist das schonmal gut.
8. Was machst du konkret, um deine persönlichen Daten online und offline zu schützen? Welche Tools verwendest du täglich?
Datenschutzfreundliche Dienste nutzen heißt schon auch erstmal auf Gewohntes zu verzichten. Das ist unpopulär, aber ich finde das ist Schritt für Schritt machbar. Ich habe nach und nach aufgehört, Google-Dienste zu benutzen, benutze Google Maps im Browser nur in Ausnahmefällen. Ansonsten habe ich für alles Alternativen gefunden. Vor einiger Zeit haben wir bei mobilsicher eine Beitragsreihe zum Thema “Vorinstallierte Apps ersetzen” veröffentlicht und Alternativen für sämtliche Dienste vorgestellt, von der Google Suche über Cloud Dienste bis zum Ersatz für die Telefon-App – all das gibt es auch von datenschutzfreundlicheren Anbietern. Über diese Empfehlungen freuen sich viele Menschen.
Ich selbst schaue bei jedem Dienst genau hin und hinterfrage die Funktionsweise. Nimmt man sich vor, die großen Bekannten hinter sich zu lassen und merkt wie sympathisch kleine Firmen sind, die sich Datenschutz und Privatsphäre auf die Fahne schreiben dann weckt das eine Motivation und eine Lust darauf, einen gesellschaftlichen Unterschied zu machen und eine Szene zu unterstützen, die mit ganz harter Arbeit viel bewirkt hat.
Den F-Droid-Store lege ich allen Android-Nutzer*innen sehr ans Herz. Hier findet man Empfehlungen von ehrenamtlichen Entwickler*innen zu tracking freien alternativen Apps. Im Alltag nutze ich als Messenger Signal, Threema und auch Telegram – das ist schon in Ordnung, auf jeden Fall besser als WhatsApp. Als Standard-Apps nutze ich die Simple Mobile Tools von Tibor Kaputa: Dateimanager, Galerie, Kamera – all die kleinen Funktionen, die jedes Handy hat, hier sind sie offline und sicher. Ich nutze den Fennec Browser, eine Firefox-Variante aus dem F-Droid-Store, der komplett trackingfrei ist. Für Twitter nutze ich einen Social-Media-Wrapper – bei Social Media nehme ich generell nie die Original-Apps, sondern immer Wrapper-Apps. Die arbeiten datensparsam und speicherplatzfreundlich.
Ich bin auch großer Startpage-Fan, das ist eine meiner Lieblingsalternativen, denn es funktioniert in meinem Empfinden besser als andere. Mein absoluter Geheimtipp ist die Navigations-App MagicEarth. Sie basiert auf OpenStreetMaps, ist aber wahnsinnig gut entwickelt, stellt alles gut dar und navigiert auch mit verschiedenen Verkehrsmitteln.
9. Welche Personen oder Organisationen haben dich ermutigt und/oder inspiriert, deine persönlichen Daten zu schützen?
Immer wieder habe ich Momente, in denen ich merke, wie wichtig es ist, im Datenschutz-Bereich zu arbeiten. Besonders, wenn ich Interviews oder Dokumentationen sehe, so zum Beispiel beim neuen Film vom Chaos Computer Club “Alles ist eins außer der Null”. Den CCC mit seinen guten Sprecher*innen und Initiativen finde ich immer inspirierend.
Mich haben auch die Filme “The Social Dilemma” auf Netflix, oder “Made to measure” mitgerissen, die kann ich mir sowohl als Inspiration als auch als Berieselung am Feierabend super anschauen. Ansonsten begeistern mich krasse journalistische Arbeiten wie das kürzlich veröffentlichte “Pegasus Projekt”. Aber auch Whistleblower*innen wie Edward Snowden, Chelsea Manning sind für mich die Helden unserer Zeit.
10. Ein Blick in die Zukunft: Wie schätzt du die Entwicklung von datenschutzfreundlichen Apps ein? Wird Datenschutz bei neuen Produkten in den nächsten fünf bis zehn Jahren zur Grundausstattung gehören?
Das Problem ist, Datenschutz gehört – zumindest auf dem Papier – schon jetzt zur Grundausstattung. Die Frage ist, inwiefern das auch klappt oder ob am Ende nur rechtliche Grauzonen strapaziert werden. Unternehmen wissen, dass sie sich mit der DSGVO beschäftigen müssen. Aber dass sie auch im Sinne von Verbraucher:innen umgesetzt wird, davon sind wir noch weit entfernt. Große Unternehmen sehen Gesetze ja auch nicht zwangsläufig als Grenzen, sondern eher als eine Risikokalkulation an und das ist leider ein riesiges Problem. Wenn es darum geht, Profit zu machen, werden Strafzahlungen bereits einkalkuliert. Aus Unternehmenssicht gibt es nicht viele Gründe, daran etwas zu ändern.
Ich weiß auch nicht, was die Lösung sein könnte, außer dass es eine gesellschaftliche Entwicklung dahin gibt, da nicht mehr mitzumachen. Die Hoffnung, dass sich etwas bewegen kann, habe ich als Idealistin schon.
Die neuen EU-Richtlininen zu digitalen Märkten und Diensten könnten hier etwas bewirken, denn Millionenstrafen tun den großen Konzernen schon weh, auch wenn das bei Umsätzen in deren Größenordnung nicht ganz so viel Geld ist. Ich denke, ohne viel Druck und Strafe wird es wahrscheinlich nicht gehen.
Ihr möchtet eine App getestet haben? Schreibt an [email protected], was ihr gern im App-Checker finden würdet.
“Im Einsatz für den Datenschutz” ist eine Interview-Reihe mit Datenschutz-Experten aus aller Welt. Ziel ist es, das Thema Datenschutz und Privatsphäre aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Unsere Interviewpartner*innen erzählen, was sie tun, um ihre persönlichen Daten schützen und geben Empfehlungen für alle, denen der Schutz ihrer Privatsphäre wichtig ist. Wenn ihr jemanden kennt, den wir interviewen sollten, schickt uns eure Vorschläge an: [email protected]
Die in diesem Interview geäußerten Ansichten sind die unseres Interviewpartners und spiegeln nicht unbedingt die von Startpage wider.