Im Einsatz für den Datenschutz: Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft
Erik Schönenberger ist Informatiker. Er ist Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft, die er mit initiiert hat. Die 10 Jahre davor hat er sich mit IT-Security beschäftigt. Sein Interesse gilt dem Spannungsfeld aus Technologie, Gesellschaft und Recht.
Die Digitale Gesellschaft ist ein gemeinnütziger und breit abgestützter Verein für Bürger- und Konsumentenschutz im digitalen Zeitalter in der Schweiz. Die zivilgesellschaftliche Organisation setzt sich seit 2011 für eine nachhaltige, demokratische und freie Öffentlichkeit ein. Sie verteidigt die Grundrechte in einer digital vernetzten Welt.
Fülle die Lücke: Privatsphäre ist _______ .
Ein Menschenrecht.
Warum ist dir der Schutz von persönlichen Daten wichtig? Beruflich und im Privatleben?
Es gibt sehr viele Überlegungen und Tatsachen, die ich als Person zwar nicht unbedingt verbergen möchte, die aber niemanden etwas angehen. Ich möchte selbst bestimmen, welchen Leuten ich mich anvertraue. Das können intime oder ganz persönliche, vertrauliche Dinge sein oder Gedanken, die nicht zu Ende gedacht sind. Diese Freiräume und Rückzugsorte sind ungemein wichtig für das einzelne Individuum, aber auch für die Gesellschaft insgesamt, damit sie sich weiterentwickeln können.
Bei der Digitalen Gesellschaft setzt ihr vor allem auf Information und Beratung zum persönlichen Datenschutz und mehr Selbstbestimmung. Wie habt ihr festgestellt, dass es hierfür einen Bedarf gibt bzw. was war der Auslöser für eure Gründung?
Der Ursprungsgedanke hinter der Digitalen Gesellschaft war es, einen Austausch- und Vernetzungsort zu schaffen. Vor über 10 Jahren haben wir ein Treffen initiiert, um möglichst alle Personen und Organisationen zusammenzubringen, die sich im weiteren Sinn mit Netzpolitik beschäftigen. Denn es gab einige aktive Menschen und Akteure, die aber zu zersplittert waren, um effektiv an den Themen arbeiten zu können. Wir haben gesehen, dass auf uns als Community einiges an Kampagnenarbeit zu Themen wie Überwachungsgesetzen zukommen wird. Darum wollten wir uns möglichst früh austauschen und vernetzen und uns positionieren, um für diese Arbeit gewappnet zu sein.
Wir haben schon früh gegen Überwachungsgesetze und das Nachrichtendienstgesetz gekämpft, bei beiden Gesetzesvorlagen aber bitter verloren. Erst darüber hinaus sind wir gewachsen und dann auch erfolgreich geworden. Im Anschluss haben wir wichtige Kämpfe gewonnen, zum Beispiel bei der e-ID und ein sehr gutes Gesetz für Netzneutralität in der Schweiz geschaffen.
Seit einigen Wochen bietet ihr auf eurer Website einen Generator an, der es Interessierten leichter machen soll, bei Unternehmen und Behörden Auskunft über die persönlichen Daten zu beantragen, die dort gespeichert und verarbeitet wurden. Warum nehmen eurer Meinung nach so wenige Menschen ihr Recht auf Auskunft wahr und hat sich das mit eurem Tool verändert?
Da tatsächlich zu wenige Menschen dieses Recht wahrnehmen, wollen wir mit dem Tool zwei Hürden senken: Erstmal muss bekannt sein, dass es dieses Recht gibt. Dann muss man es auch wahrnehmen und in der Praxis Gebrauch davon machen. Das geht bis anhin nicht einfach mit einem Mausklick. Und hier setzt das Tool datenauskunftsbegehren.ch an: Wir wollen einerseits das Bewusstsein der Menschen dafür stärken und anderseits eine Möglichkeit bieten, dieses Recht einfach wahrnehmen zu können.
Dabei sollen jedoch Unternehmen nicht einfach mit Datenauskunftsbegehren geflutet werden. Vielmehr soll auch hier für ein Bewusstsein gesorgt werden, wie mit personenbezogenen Daten und Auskunftsbegehren umzugehen ist, wie man sie entsprechend korrekt und in der geforderten Frist beantwortet und mit Personen in Dialog tritt, die ihre Daten anfordern.
Für das Tool haben wir aus unterschiedlichen Richtungen positive Rückmeldungen und ein gutes Medienecho bekommen. Genaue Statistiken haben wir nicht – aufgrund des Datenschutzes. Aber wir wissen, dass es von Anfang an viele Zugriffe gab.
Auf Unternehmerseite gab es auch Verärgerung, da sich einige belästigt gefühlt haben. Wir traten dann in Kontakt und haben erklärt, worauf es uns ankommt, da sah die Welt jeweils schnell anders aus. Sie haben verstanden, dass die Datenauskunft ein berechtigtes Interesse der Menschen ist und sie als Unternehmen eine Verantwortung ihnen gegenüber haben, sobald sie deren Daten verarbeiten. Datenbearbeitung ist ein Teil ihres Geschäfts und erfordert einen sorgfältigen Umgang. Daher müssen sie diesen Anfragen nachkommen. Im Wechselspiel führt dies letztendlich zu einer besseren Datenverarbeitung.
Wir wollen keine Verhinderer und Blockierer sein, sondern uns als Gesellschaft im positiven Sinne weiterbringen.
In Deutschland ist das Bewusstsein für den Datenschutz schon größer als in vielen anderen Ländern. Wie sieht es deiner Einschätzung nach in der Schweiz aus, wird das Thema in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen? Was ist schon gut, was muss sich verbessern?
Durch die Corona-Pandemie hat sich einiges getan: Einerseits wurde die Digitalisierung beschleunigt, digitale Tools sind nun sehr viel gegenwärtiger im Leben sehr vieler Menschen. Damit hat sich auch eine spürbar stärkere Sensibilisierung für Datenschutz eingestellt – nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Politik. Das Thema wird viel konkreter behandelt, das sah man besonders bei den Debatten über die COVID-App, die sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz schlussendlich sehr gut geführt wurden. In der Schweiz war die Diskussion noch deutlich sachlicher und ist für mich ein gutes Beispiel, wie Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Behörden in solchen Fragen zusammenarbeiten können und sollten.
In der Schweiz hatten wir eine Volksabstimmung zur elektronischen Identifikation erzwungen und gewonnen. Dabei haben wir die Debatte um den Datenschutz sehr stark ins Zentrum gerückt und das hat etwas bewegt: Mittlerweile sind Stichworte wie „Privacy-by-design“, „Privacy-by-default“ oder „Dezentrale Architektur“ in der Politik geläufig und das ist eine sehr positive Entwicklung.
Welche Fragen tragen die Menschen am häufigsten an euch heran oder bitten euch um Unterstützung? Konntet ihr über die Zeit eine Verlagerung der thematischen Schwerpunkte feststellen?
Wir werden mit sehr vielen Anfragen aus ganz unterschiedlichen Ecken konfrontiert, aus der Bevölkerung, der Politik oder von Medienschaffenden. Ursprünglich haben wir uns vor allem mit Datenschutz, Privatsphäre und Überwachung beschäftigt und dazu viele inhaltliche Anfragen beantwortet.
Dadurch, dass die Digitalisierung in den letzten 10 Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen hat und zuletzt durch COVID, gibt es mittlerweile viele weitere Bereiche, mit denen wir uns beschäftigen wie z.B. e-Government, digitale Demokratie und digitale Infrastruktur. Nicht zuletzt hat die Volksabstimmung zur elektronischen Identität die Frage aufgeworfen, wie sich ein Staat in einer vernetzten Welt positionieren und definieren muss, welche Aufgaben sich nun stellen und wie diese wahrgenommen werden, denn – wie bei der e-ID – dürfen diese oft nicht einfach an den Markt auslagert werden.
Das Thema Datenschutz wird oft missverstanden. Was ist eine weit verbreitete Annahme über den Datenschutz, die du gerne ein für alle Mal aus der Welt schaffen würdest?
Der Begriff ‚Datenschutz‘ ist eigentlich etwas seltsam. Denn es geht nicht darum, Daten zu schützen, sondern Menschen vor den Auswirkungen zu schützen, die es haben kann, wenn persönliche Daten verwendet werden.
Wir müssen Datenschutz so verstehen, dass es nicht um eine Gegenüberstellung geht – Datenschutz vs. Gesundheit oder Datenschutz vs. Geschäftsmodell XY – sondern meist geht beides zusammen, wenn man sich ein paar Gedanken dazu macht. Das Beispiel der COVID-App zeigt exemplarisch, dass sich das Ziel der Kontaktverfolgung über eine zentrale Datenbank, die erfasst, wer wann wo wen getroffen hat, auch mit anderen technischen Ansätzen erreichen lässt. Datenschutz von Anfang an mitzudenken, das muss in die Köpfe von Behörden und Unternehmen rein. Die Behauptung, der Datenschutz stehe im Weg und blockiere Innovationen ist viel zu kurz gegriffen.
Welche aktuellen Risiken für die Privatsphäre siehst du als besonders kritisch an?
Gesichtserkennung, respektive die biometrische Identifikation von Menschen. Das ist ein Thema, um das wir uns jetzt kümmern müssen. Wenn wir nicht jetzt die gesellschaftliche Debatte führen und Verbote schaffen, wird uns dies als Vorratsdatenspeicherung und Massenüberwachung im physischen Raum in wenigen Jahren sehr unangenehm auf die Füße fallen. Denn die Technik macht sehr schnelle Fortschritte, und die Entwicklung lässt sich an einem gewissen Punkt nicht mehr zurückdrehen. Darum unterstützen wir auch die Kampagne Reclaim your Face, die in ganz Europa aktiv ist.
Was machst du konkret, um deine persönlichen Daten online und offline zu schützen? Welche Tools verwendest du täglich?
Ich verwende praktisch ausschließlich Open Source Software. Ich habe ein Linux Notebook, ein freies Android Betriebssystem auf meinem Fairphone, also ein System, das ohne das Google-Ökosystem auskommt. Ich speichere Daten eher lokal oder auf eigenen Systemen anstatt auf Clouddiensten.
Als Messenger verwende ich Signal, ich würde aber auch Threema für den privaten Gebrauch empfehlen.
Technisch Versiertere und Experimentierfreudige könnten sich Matrix einmal anzuschauen. Matrix ist eine Mischung aus Instant Messaging und Slack – und es sind auch Telefonate und Videokonferenzen möglich.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Immer häufiger kommt es zu Datenlecks und lauteren Rufen nach datenschutzkonformen Produkten. Im Rahmen eurer digitalen Selbstverteidigung gebt ihr dazu konkrete Tipps und Tool-Empfehlungen. Werden Nutzer*innen in Zukunft mehr Produkte einfordern, die die Privatsphäre schützen? Bleibt Tech-Konzernen keine andere Wahl, als privater zu werden?
Ich glaube es wird beides sein. Die Nachfrage nach Tools und Diensten wird steigen, den Fokus auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen zu legen. Dazu gehört eben auch der Schutz der personenbezogenen Daten. Auf der anderen Seite müssen sich die Produkte allgemein mehr in Richtung Privatsphäre entwickeln, aus einer gesamtgesellschaftlichen Debatte und den daraus entstehenden Gesetzen heraus. Es sollte nicht dem Individuum überlassen sein, das datenschutzfreundlichste Tool zu recherchieren, sondern es muss einen verlässlichen Grundschutz geben sein.
Der Herausforderung, festzulegen, was die Mindeststandards sind, müssen wir uns als Gesellschaft stellen. Sodass es nicht zum Marktvorteil werden kann, sich als Unternehmen nicht um Themen wie Datenschutz zu kümmern.
“Im Einsatz für den Datenschutz” ist eine Interview-Reihe mit Datenschutz-Experten aus aller Welt. Ziel ist es, das Thema Datenschutz und Privatsphäre aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Unsere Interviewpartner*innen erzählen, was sie tun, um ihre persönlichen Daten schützen und geben Empfehlungen für alle, denen der Schutz ihrer Privatsphäre wichtig ist. Wenn ihr jemanden kennt, den wir interviewen sollten, schickt uns eure Vorschläge an: [email protected]
Die in diesem Interview geäußerten Ansichten sind die unseres Interviewpartners und spiegeln nicht unbedingt die von Startpage wider.